Zuletzt aktualisiert am 1. Juni 2023 von tirolturtle
Wie ist es um die Arthrose Forschung in Österreich bestellt und warum eine personalisierte Arthrose-Medizin wünschenswert ist? Dr. Stefan Tögel im Interview.
Wie es um die Arthrose Forschung in Österreich und die Entwicklung von neuen Behandlungsmöglichkeiten von Arthrose bestellt ist, interessiert mich ungemein.
Das hat den einfachen Grund, dass ich selbst von Arthrose betroffen bin, seit 2015 über Arthrose blogge und seit dieser Zeit begonnen habe, die Arthrose Selbsthilfe in Österreich aufzubauen und gleichzeitig für mehr Bewusstsein in der Öffentlichkeit zu sorgen.
Umso mehr freut es mich, dass Assoc. Prof. Priv.-Doz. Mag. Dr. Stefan Tögel auf der Suche nach österreichischen Patientenorganisationen auf das Arthrose Forum Austria gestoßen ist und mich per Mail kontaktiert hat.
Mir war Dr. Stefan Tögel, der assoziierter Professor an der Medizinischen Universität Wien ist und seit vielen Jahren an der Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie zum Thema Arthrose forscht, bereits bekannt.
Auf meinem Arthrose Forum Austria Newsticker sind bereits Beiträge über die Arthrose Forschung an der MedUni Wien erschienen:
Prof. Dr. Stefan Tögel ist – kurz gefasst – den Galektinen auf der Spur.
In Knorpelzellen, die stark von Arthrose betroffen sind, wird dieses Galektin sehr stark produziert:
Würde man Medikamente entwickeln, die die Überproduktion hemmen, könnte das ein möglicher Behandlungsweg für Arthrose sein.
In der Presseaussendung der MedUni Wien heißt es dazu: Ein Netzwerk aus zuckerbindenden Proteinen – sogenannten Galektinen – spielt eine wichtige Rolle in der Degeneration von Knorpelgewebe bei Arthrose.
Diesen Zusammenhang konnte eine Forschungsgruppe der MedUni Wien in Kooperation mit internationalen Studienpartnern aufzeigen.
Bestimmte Galektine werden bei Arthrose von den Knorpelzellen selbst produziert und beschleunigen den Abbauprozess der Knorpelmatrix.
Arthrose Forschung in Österreich: Interview Prof. Dr. Stefan Tögel
Der Anfrage von Prof. Dr. Stefan Tögel zur Vernetzung zwischen Wissenschaft & Forschung und Patientenorganisation bin ich sehr gerne nachgekommen.
In einem ersten Schritt habe ich den österreichischen Arthrose Forscher um ein Interview für meinen Arthrose Blog gebeten.
Können Sie uns ein wenig Einblick in Ihre Tätigkeit, Schwerpunkt und Person geben?
Ich arbeite als assoziierter Professor an der Medizinischen Universität Wien, wo ich an der Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie das biologische Forschungslabor leite. Meine Ausbildung hat mich nach dem Studium der Pharmazie und einem Doktorat der Naturwissenschaften bis hin zu einer Habilitation im Fach Zellbiologie geführt.
Die Erforschung des Bewegungsapparats begleitet mich bereits seit meinen ersten wissenschaftlichen Schritten im Zuge der Diplomarbeit. Seit vielen Jahren liegt der Schwerpunkt meines Interesses in der Arthroseforschung.
Von Beginn an hat mich dabei fasziniert und erstaunt, dass es trotz der immensen Bedeutung der Arthrose viele grundlegende Mechanismen nicht bekannt waren und es nach wie vor keine zugelassenen biomedizinischen Therapien gibt, die den Krankheitsverlauf beeinflussen. Ich hatte das Gefühl, hier etwas mit meiner Arbeit beitragen zu wollen. Diese Faszination hält nach wie vor an.
Privat versuche ich, meine Gelenke beim Wandern, Radfahren und mit Kraftübungen gesund zu halten. Außerdem bin ich begeisterter Barfußschuhträger und versuche mich auf der Slackline. Auch sorgen meine zwei Töchter dafür, dass die Gelenke nicht allzu sehr einrosten.
Wie kann man sich die Arbeit eines Arthrose Forschers vorstellen?
Die Arbeit ist ausgesprochen vielseitig und abwechslungsreich, und von vielen kreativen Elementen geprägt. Das Team in unserem relativ kleinen Forschungslabor setzt sich aus MolekularbiologInnen, PharmazeutInnen, BiotechnologInnen, ÄrztInnen, Biomedizinischen AnalytikerInnen, DoktoratsstudentInnen und DiplomandInnen zusammen.
Der Austausch über die Fachdisziplinen hinweg sowie die Interaktion mit Studierenden gehören für mich mit zu den spannendsten Aspekten des Arbeitsalltags. Der Alltag selbst variiert dabei etwas nach Grad der Ausbildung sowie mit den Stufen der Karriereleiter, beinhaltet aber durchwegs als zentrales Element die Planung, Durchführung und Auswertung von wissenschaftlichen Experimenten.
Ausgangspunkt für unsere Experimente sind klinische Proben, also Gewebe welche im Zuge von chirurgischen Eingriffen gewonnen und uns von den PatientInnen dankenswerterweise zur Verfügung gestellt werden.
Diese Proben werden in unserem Labor histologisch untersucht und dienen zur Isolierung verschiedenster Zellen des Bewegungsapparats. Anhand so gewonnener Zellkulturen untersuchen wir die biologischen Mechanismen der Arthrose, beispielsweise wie sich Entzündungsreaktionen im Gelenk entwickeln oder warum der Gelenkknorpel im Laufe der Arthrose verloren geht.
Womit beschäftigen Sie sich aktuell? Wo liegt ihr Forschungsschwerpunkt?
Ein wesentlicher Schwerpunkt unserer Arbeit, mit der wir uns auch international einen Namen gemacht haben, bearbeitet die Glykobiologie der Arthrose.
Unter Glykobiologie versteht man die Wechselwirkung von Zuckermolekülen mit zuckerbindenden Proteinen. Galektine sind eine Familie solcher zuckerbindender Proteine.
Wir konnten in unserer Arbeit zeigen, dass Galektine im Laufe der Arthrose vermehrt im Knorpel vorkommen und die Knorpelzellen dazu bringen, Botenstoffe der Entzündung auszuschütten und die Knorpelmatrix abzubauen.
Derzeit erforschen wir den exakten Mechanismus dieser Galektin-gesteuerten Effekte.
Was können sich Betroffene davon erhoffen?
Wenn es uns zum Beispiel gelingt, die Bindung der Galektine an die Knorpelzellen zu hemmen, könnte das die Entwicklung neuer Therapien ermöglichen.
Aber lassen Sie es mich deutlich sagen: Es liegt hier ein weiter Weg vor uns.
Mittel- oder langfristig werden es aber solche grundlagenorientierten Ansätze sein, die einen Durchbruch in der Bekämpfung der Arthrose bringen.
Arthrose Forschung in Österreich: personalisierte Arthrose-Medizin wünschenswert
Was tut sich in der Arthroseforschung? Ist Bahnbrechendes zu erwarten?
Einer der spannendsten Konzepte der letzten Jahre in der Arthroseforschung ist in meinen Augen die Erkenntnis, dass Arthrose nicht gleich Arthrose ist. Das klingt banal, hat aber weitreichende Konsequenzen.
In Wahrheit scheint es eine Vielzahl von Subtypen zu geben, die sich in ihren Ursachen, in ihrer Entwicklung und in den zugrundeliegenden Mechanismen unterscheiden.
Womöglich ist das Scheitern vieler klinischer Studien zum Thema „Therapie bei Arthrose“ dadurch zu erklären, dass nicht zwischen diesen Arthrose-Untergruppen unterschieden wurde.
Dieser neue Ansatz, sofern er sich wissenschaftlich bestätigt, würde damit den Einzug einer „personalisierten Arthrose-Medizin“ Vorschub leisten.
Auch in unserer Forschung haben wir begonnen, den Hintergrund der jeweiligen PatientInnen verstärkt in unsere Analysen miteinzubeziehen.
Wie ist es um die Arthroseforschung in Österreich bestellt?
Die Arthroseforschung in Österreich stellt vergleichsweise immer noch eine Nische dar.
Es ist aber in den letzten Jahren ein Trend erkennbar, dass einige Gruppen, die in unterschiedlichen Fachdisziplinen beheimatet sind, begonnen haben, sich mit Aspekten der Arthrose zu beschäftigen.
Das freut mich besonders, da es das Bewusstsein der heimischen ForscherInnen widerspiegelt, dass es sich bei der Arthrose um eine ernstzunehmende Erkrankung und ein ungelöstes Problem handelt.
Außerdem fördert dieser Input wiederum den fachlichen Austausch aus mehreren Blickwinkeln.
Der Stellenwert, den die Arthrose in der Forschungsarbeit unserer Gruppe einnimmt, sowie unsere langjährige Erfahrung mit dem Thema sind aber sicherlich eine Besonderheit in Österreich.
Wo wird in Österreich noch geforscht und welche Vernetzung wäre sinnvoll?
Die Arthroseforschung ist in Österreich stark mit den Standorten der Medizinischen Universitäten verbunden.
Das Ludwig Boltzmann Institut für Arthritis und Rehabilitation, an dem wir ebenfalls beteiligt sind, hat zudem eine Art überregionaler Plattform für Knorpelzellforschung geschaffen und verfolgt das Ziel, ein PatientInnen-Register zum Thema Arthrose in Österreich zu etablieren.
Mir ist es persönlich ein großes Anliegen die Vernetzung unserer Forschungsarbeit mit PatientInnenorganisationen zu verstärken. Ich bin daher aktiv auf das Arthrose Forum Austria zugekommen, um einen zukünftigen Austausch zu ermöglichen und von den jeweiligen Erfahrungen gegenseitig zu profitieren.
Ich glaube, dass wir uns alle gemeinsam stark dafür einsetzen müssen, das öffentliche Bewusstsein auf die enorme Bedeutung der Arthrose – für den Patienten, die Gesellschaft und die Gesundheitsökonomie – zu lenken.
Derzeitige Situation ist für die Arthrose Forschung in Österreich ein Ansporn
Wie hoch ist der Druck auf die Forschung angesichts der steigenden Zahl an Gelenkersatz-OPs?
Die steigenden Operationszahlen sind sicherlich dem zunehmenden Alter der Bevölkerung geschuldet. Klarerweise ist der Gelenkersatz, trotz all seiner Verdienste, kein Allheilmittel.
In gewissem Sinn ist er natürlich auch Ausdruck der Alternativlosigkeit, da es bislang keine zugelassenen medikamentösen oder biologischen Therapien gibt, welche die Entwicklung einer Arthrose verhindern oder gar umkehren könnten.
Insofern ist diese Situation ein großer Ansporn für die Forschung, die grundlegenden Mechanismen dieser Krankheit besser zu verstehen, um daraus neue Behandlungsstrategien für die Zukunft ableiten zu können.
Inwieweit kann die Arthroseforschung in Österreich auf Förderungen zählen?
Was Forschungsförderungen in Österreich betrifft, sieht es ja ganz allgemein nicht rosig aus! Und natürlich haben in so einer Situation Nischenthemen wie die Arthroseforschung, die nicht auf eine jahrzehntelange starke Forschungstradition zurückblicken können, in kompetitiven Verfahren oft das Nachsehen.
Eine Schwerpunktsetzung, die degenerative Erkrankungen im Alter berücksichtigt, wäre in der österreichischen Förderlandschaft tatsächlich eine immense Unterstützung.
Deshalb ist auch eine Organisation wie das Arthrose Forum Austria so wichtig, um die öffentliche Wahrnehmung auf das Thema zu lenken, und so die Unterstützung für PatientInnen und Forschungsgruppen zu verbessern.
Für uns ForscherInnen muss die Situation weiterhin Ansporn sein, hervorragende Arbeit zu leisten und unsere Arbeit sichtbar zu machen.
Wenn du mehr über die Behandlung von Arthrose und Therapien erfahren möchtest, dann empfehle ich dir meine Experten-Interviews mit Dr. Jochen Hofstätter zum Thema Hüftprothesen und Endoprothesenregister Österreich oder das Interview mit Knorpelexperte Stefan Marlovits.
EDIT 2023:
Das Arthrose Forum Austria ist seit 2023 Patient Research Partner des Ludwig Holzmann Instituts für Traumatologie, das Forschungsinstitut in Kooperation mit der AUVA und des Ludwig Boltzmann Instituts für Arthritis und Rehabilitation.
Zudem ist das Arthrose Forum Austria seit 2023 auch europaweit mit Wissenschaftlern aus der Arthrose Forschung vernetzt. Mehr dazu im Beitrag über The European Network an Osteoarthritis.
Hinweis: Die hier geteilten Informationen sollen zur Stärkung der persönlichen Gesundheitskompetenz beitragen, ersetzen aber in keinem Fall die ärztliche Diagnose, Beratung und Behandlung.
Foto: privat
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